Wann ist ein Erblasser testierunfähig?

Häufig zweifeln Angehörige die Gültigkeit eines Testaments an, weil der Erblasser oder die Erblasserin bei der Abfassung des Testaments nach ihrem Eindruck geistige oder psychische Erkrankungen hatte.
Doch nicht jede psychische oder geistige Erkrankung führt zwingend zu einer Testierunfähigkeit.
Eine Testierfähigkeit kann auch dann gegeben sein, wenn erhebliche Erkrankungen zwar vorliegen, diese aber keinen Einfluss auf die freie Willensbildung zur Abfassung eines Testaments (§ 2229, Abs. IV BGB) haben.

So hat das OLG Brandenburg in einem Beschluss vom 19.03.2024 entschieden, dass ein Erblasser, der an einer bipolaren Störung, Depressionen und Alkoholmissbrauch litt, durchaus in der Lage war, ein wirksames handschriftliches Testament zu verfassen und darin seinen Erben zu bestimmen.
Die bei dem Erblasser vorliegenden Erkrankungen ließen aber keinen zwingenden Schluss auf eine Testierunfähigkeit zu. Nur dann, wenn durch diese Erkrankungen eine Geisteskrankheit oder erhebliche Geistesschwäche verursacht wird, die die freie Willensbestimmung ausschließt oder zu einer starken Bewusstseinsstörung führt, kann eine Testierunfähigkeit bejaht werden. Weil der Verstorbene in seinem Abschiedsbrief vorgab, seine gesamten Erbschaftsangelegenheiten noch regeln zu wollen, schloss das Gericht auf ein planvolles und strukturiertes Verhalten im erbrechtlichen Bereich. Auch der testamentarisch niedergelegte Text war flüssig und mit fester Handschrift inhaltlich schlüssig abgefasst. All dies deutete auf keine Beeinträchtigung seiner geistigen Fähigkeiten im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments hin.
Das Testament war somit gültig.

Bei einem gemeinschaftlichen Testament müssen beide Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierfähig sein. Soweit nur ein Ehegatte testierunfähig ist, ist das Testament unwirksam.
Testierunfähigkeit ist auch bei Demenz nicht immer zwingend gegeben. Auch hier ist wesentlich, dass die Demenz so weit fortgeschritten ist, dass eine freie Willensbestimmung nicht mehr möglich ist.
Folgende Prüfungsschritte nimmt die Rechtsprechung in solchen Fällen vor:

  1. Durch die Vernehmung von Zeugen oder schriftliche Äußerungen von Zeugen müssen auffällige Verhaltensweisen des Erblassers oder der Erblasserin belegt sein. Diese Feststellungen hat das Nachlassgericht selbst im Wege des Freibeweises von Amts wegen zu ermitteln.
  2. Die ermittelten Anknüpfungstatsachen müssen an einen Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie weitergeleitet werden.
  3. Der Gutachter muss die medizinischen Befunde erheben.
  4. Der Sachverständige muss im konkreten Fall die Auswirkungen des Medizinbefundes auf die Verhaltensauffälligkeiten beim Erblasser/bei der Erblasserin im konkreten Fall feststellen, insbesondere die Auswirkungen auf kognitive Funktionen, Persönlichkeit und Wertegefühl des Verstorbenen.
  5. Die genannten Beeinträchtigungen müssen nach den Ermittlungen des Sachverständigen bereits zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorgelegen haben. Dabei muss ermittelt worden sein, dass die Fähigkeit des Erblassers/ der Erblasserin, Sachverhalte aufzufassen, zu verstehen, Informationen rational und emotional zu verarbeiten und den Sachverhalt zu bewerten, durch die Erkrankung erheblich beeinträchtigt waren.
  6. Ferner muss festgestellt werden, dass keine Fähigkeit des Verstorbenen /der Verstorbenen bestand, auf dieser Grundlage den eigenen Willen zu bestimmen, zu äußern und danach zu handeln.
  7. Der Sachverständige muss die Fähigkeit des Verstorbenen/ der Verstorbenen, ein Urteil über Alternativen zu bilden und frei bei der Abfassung des Testaments entscheiden zu können, ermitteln. Soweit diese Fähigkeiten nicht mehr vorgelegen haben, liegt Testierunfähigkeit vor.
  8. Ferner muss der Sachverständige einen brauchbaren Grad von Gewissheit für die Testierunfähigkeit feststellen.
  9. Das Gutachten des Sachverständigen muss durch das Gericht auf Nachvollziehbarkeit und Plausibilität geprüft werden.

Wenn alle diese Punkte vorliegen, kann eine Testierunfähigkeit bejaht werden. Insbesondere dann, wenn der Erblasser/ die Erblasserin kurz vor oder zeitlich kurz nach der Abfassung des Testaments deutliche Anzeichen von Desorientiertheit und Verwirrtheit gezeigt hat, wie zum Beispiel das Deponieren von Sachen an unüblichen Stellen, sie oder er nicht mehr ohne polizeiliche Hilfe nach Hause fand oder ihren/seinen Willen, beispielsweise zur Rücknahme eines früheren Testaments und Hinterlegung eines neuen Testaments nicht eindeutig äußern konnte, sind Anzeichen für eine zum Zeitpunkt der Testamentsabfassung bestehenden Testierunfähigkeit gegeben. Bei vorliegender Testierunfähigkeit ist ein Testament unwirksam. In diesem Falle können auch bereits erteilte Erbscheine eingezogen werden. Man kann auch Klagewege gegen die nicht rechtsgültig eingesetzten Erben vorgehen. Sollten Sie zu dieser Problematik Beratungsbedarf haben, stehe ich hierfür jederzeit gern zur Verfügung.